
Iglesia Evangélica Luterana de Habla Alemana (IELHA)
Evangelisch-Lutherische Kirche deutscher Sprache in Bolivien


Matthias Strecker
29. März 2025
„Mama, kommst du eigentlich mit, wenn wir aus dem Land müssen?“
So der Ausspruch eines Kindes in Sachsen mit binationalen Eltern, verängstigt durch die von der AfD geführte Debate über die “Remigration” von Einwanderern. Sprachlos, machtlos und wütend sei sie gewesen, schreibt die Mutter, eine Mitarbeiterin der evangelisch-lutherischen Landeskirche.
Der sächsische Landesbischof Tobias Bilz ruft in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung "Welt" angesichts hoher Zustimmungswerte für die AfD in Ostdeutschland zum offenen Gespräch auf. Er schreibt:
Mit ihr und anderen tausche ich mich über vielfältige Erfahrungen mit Rassismus hier in Sachsen aus. Wir diskutieren über ein offensichtlich tiefsitzendes Phänomen, das Menschen nutzen, um ... ja, wofür eigentlich? Um andere Ungleichheiten zu kompensieren? Helfen nationalistische Ressentiments dabei, eigene soziale oder andere Benachteiligungen zu verarbeiten? Führt die wie auch immer definierte Volkszugehörigkeit zur erhofften Aufwertung der eigenen Person? Wird da gar Ablehnungsschmerz kompensiert?
Mit dem gerade veröffentlichten Wort „Christliche Perspektiven für unser gesellschaftliches und politisches Miteinander“ will der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dazu ermutigen, persönliche Erfahrungen in die anstehenden Debatten über Rechtspopulismus einzubringen und sie im Licht christlicher Überzeugungen zu deuten. Dort heißt es: „Eine politische Polemik, die zwischen Volk im Sinne einer ethnischen oder kulturell einheitlichen Größe und Bevölkerung unterscheidet, kollidiert mit der Menschenfreundlichkeit Gottes.“
Die eigentliche Herausforderung der hier benannten Menschenfreundlichkeit Gottes besteht wohl darin, dass sie eben auch denen auf der anderen Seite der Mauer gilt. Deshalb heißt es im Text weiter: „Andere als Freie oder Gleiche anzuerkennen, bedeutet deshalb auch, Positionen nicht nur deswegen abzulehnen, weil sie von einer bestimmten Gruppe kommen oder mit der eigenen Position nicht übereinstimmen.“ Wie aber können wir die Menschenfreundlichkeit Gottes stark gegenüber denen halten, die sie nicht teilen, weil sie Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Abstammung, Nation oder Herkunft, Glauben oder politischen Anschauung ablehnen? Wie können wir uns selbst davor hüten, menschenunfreundlich zu werden, wenn wir Brandmauern aufrichten?
„Damit das gesellschaftliche Miteinander gelingen kann, müssen Chancen und Belastungen fair verteilt werden, gerade angesichts vielfältiger Krisen- und Transformationserfahrungen.“ Der Rat der EKD möchte mit seinen Perspektiven die Aufmerksamkeit auch auf Ungleichheiten richten. Ich denke an die zwischen Ost und West. Wenn der Osten stärker blau (AfD) wählt, hat das Ursachen, die nicht mit Bewusstseinsbildung überwunden werden können. Eine größer werdende Bevölkerungsgruppe hier fühlt sich benachteiligt. Das gilt sowohl im Blick auf die aktuellen finanziellen und damit wirtschaftlichen Möglichkeiten als auch im Blick auf die Zukunftsperspektiven. Die Wirtschaftskrise trifft den härter, der weniger hat. Zukunftsängste haben mehr Kraft, wenn man nahe am Existenzminimum lebt. Dazu kommt eine gehörige Portion Resignation. Wenn die Perspektiven negativ sind, schwindet die Bereitschaft, die bestehenden Verhältnisse zu verteidigen.
Es scheint noch etwas Weiteres hinzuzukommen. Menschen im Osten Deutschlands fühlen sich in Teilen fremdbestimmt. Andere, die ihre Lebenswirklichkeit und Lebensperspektive nicht teilen, scheinen gesellschaftliche Entwicklungen zu dominieren. Manche fühlen sich ausgeliefert. Darüber muss gesprochen werden. Sprechen heißt auch, auf Belehrung zu verzichten und schmerzhafte Worte auszuhalten, um der Menschenfreundlichkeit willen. Dazu gehört auszusprechen, was man wirklich denkt und empfindet, sowie sich damit verletzlich zu machen.
Gibt es dafür Grenzen? Wann sind Spannungen nicht mehr auszuhalten? Niemandes Würde darf herabgesetzt werden. Das gilt für die Worte und Taten aller. Es beginnt aber mit inneren Haltungen. Demut statt Herablassung wird gebraucht. Es ist die Fähigkeit zur Selbstkritik, die sich darin zeigt, auf Überzeugungsarbeit zu verzichten und stattdessen auf Nachdenklichkeit zu setzen. Jeder muss es für möglich halten, sich (in Teilen) zu täuschen. Verstehen wollen und Verständnis gewinnen gehören zusammen sowie die Bereitschaft, andere dann auch zum Zuge kommen zu lassen.
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken.“ (3. Mose 19,33) Der Rat der EKD veröffentlicht seinen Text im März 2025, der für die christlichen Kirchen unter diesem Leitwort steht. Das biblische Gebot ist eindeutig. Niemand soll unter Druck gesetzt werden, weil er fremd ist. Das gilt zuerst für Menschen, die aus anderen Ländern gekommen sind. Es gilt genauso für die, die sich aus einem anderen Grund fremd fühlen. Druck machen dagegen hilft nicht – weder dem Freund gegenüber, der AfD wählt, noch den Fremden gegenüber, die manche am liebsten aus dem Land haben möchten. Stattdessen gilt es, das spannungsvolle Miteinander auszuhalten und anzunehmen. Daraus können tragfähige Brücken werden.