Iglesia Evangélica Luterana de Habla Alemana (IELHA)
Evangelisch-Lutherische Kirche deutscher Sprache in Bolivien
Caroline Sölle de Hilari
1. Okt. 2024
Gedanken zum 35. Jahrestag des “Mauerfalls”
Der Slogan “Schwerter zu Pflugscharen” bedeutet: Waffen, die zum Töten dienen, in etwas Nützliches umzuformen, in Pflugscharen, die in der Landwirtschaft zur Ernährung der Menschheit benutzt werden. Es ist ein Zitat aus der hebräischen Bibel, und steht im Buch des Propheten Micha 4, 3-4,
Er wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s geredet. (Lutherübersetzung, 2017 revidiert)
Dieselben Worte finden wir auch bei den Propheten Jesaja 2 und Joel 4.
Dieser Slogan wurde in der deutschen Geschichte sehr wichtig. Ostdeutschland war nach dem 2. Weltkrieg als DDR ein Teil des sowjetischen Blocks geworden. Seit 1971 forderte die evangelische oder protestantische Kirche die sozialistischen Machthaber heraus mit diesen Slogan, aus Protest gegen die Militarisierung im Erziehungswesen und gegen die wachsende Aufrüstung im Rahmen des sogenannten “kalten Krieges”.
1980 entwarf der Graphiker Herbert Sander das Symbol, er benutzte dazu eine Zeichnung einer großen Skulptur desselben Namens, die die UdSSR den Vereinten Nationen geschenkt hatte.
Die Pastoren der DDR Friedensbewegung druckten das Symbol mit dem Slogan auf Stoff, weil sie damit die Zensurbehörde für Druckerzeugnisse umgingen.
Nur zwei Jahre später trugen Tausende von Jugendlichen in Schulen, Lehrbetrieben und Universitäten den runden Aufnäher auf ihren Jacken, so dass er von der Obrigkeit verboten wurde. Die ihn trotzdem trugen, wurden aus Hochschulen und Erweiterten Oberschulen entlassen, erfuhren Strafversetzung, Nichtzulassung zum Abitur, Verweigerung der gewünschten Lehrstelle, Schulverbot oder Hinderung beim Betreten seines Betriebs. Lehrer und Polizisten schnitten die Aufnäher aus Jacken heraus, Anfang 1982 reagierte eine wachsende Zahl von Jugendlichen, indem sie sich runde weiße Flecken auf die Jacken nähten oder mit Filzstift auf den Ärmel schrieben: „Hier war ein Schmied.“
1983, auf dem evangelischen Kirchentag in Wittenberg, führte Pastor Friedrich Schorlemmer und der Schmied Stefan Nau eine “symbolische Aktion” durch: sie schmiedeten ein sehr großes Schwert in eine Pflugschar um, vor 4.000 Zuschauern auf einem öffentlichen Platz. Eine Predigt brauchte es nicht, die Botschaft konnte nicht klarer sein. Eingeschüchtert von der Präsenz westlicher Medien und Prominenten griff die Polizei nicht ein. Aber Schmiedemeister Nau musst wenige Monate danach in den Westen fliehen, weil er mit Gefängnisstrafe bedroht wurde.
1989 brachte diese pazifistische Bewegung, die in Versammlungen in Kirchen begonnen hatte, eine erste und bisher einzigartige deutsche gewaltlose Revolution hervor, die ohne einen einzigen Toten die ostdeutsche Regierung stürzte und ein Jahr später in der Wiedervereinigung mündete. Das feiern wir als Nationalfeiertag jeden 3. Oktober.
Zur Figur von Friedrich Schorlemmer muss man wissen, dass die die Kirchen in der DDR mit dem perfiden Verbot unterdrückt wurden, dass Pfarrerskindern die Oberschule, das Abitur und die Universität verweigerte. Aber die Schorlemmer Kinder machten auf einer Volkshochschule das Abitur nach und durften dann an einem Predigerseminar Theologie studieren, so wurden sie ebenfalls Pfarrer.
Hier ein Zitat von Pastor Schorlemmer über die Rolle der Kirchen und der Religion während dieser historischen Umwälzung der Verhältnisse:
Der Umsturz in der DDR erfolgte ohne einen einzigen Toten. Im Herbst des letzten Jahres erlebten wir in unseren Kirchen, wie Menschen, die nie gebetet hatten, die Kraft des Gebetes an sich erfuhren, und wie diese Kraft des Gebets sie trug auf die Straßen, wo sie die Faust der Wut öffnen mussten, um die Kerze des Friedens zu schützen. Die Gewaltlosigkeit war bei uns auch eine Frucht des Gebetes im Angesicht des gekreuzigten Herrn. Die Menschen strömten hunderttausendfach in die Kirchen, und die Solidarität mit den Leidenden war in dem Masse wachgeblieben, wie die Menschen selber litten. (Das sollte sich leider bald ändern.) Es war eine ungeahnte Hörbereitschaft für das Wort Gottes da, und er schenkte uns vom Vogtland bis nach Rügen die Kraft, das Wort der Schrift in die Situation heinen auszulegen. Dir Kirchen wurden nicht missbraucht, sondern wirklich gebraucht. Und es war so, wie es Luther einst in seiner Zeit erlebte: “Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen ist.”
Aus: Deutschland, was nun? Neues denken, Neues tun. Kommentargottesdienst Lorenzkirche Nürnberg, Buss- und Bettag November 1990 abgedruckt in: Friedrich Schorlemmer (1992)Versöhnung in der Wahrheit. Nachschläge und Vorschläge eines Ostdeutschen. Dromersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf,. München
Dieser Text wurde leicht abgeändert auf Spanisch während der Feier zum Internationalen Friedenstag, organisiert vom “Diálogo interreligioso Boliviano” am 20.9. 2024 in der Mormonenkirche vorgetragen.